Wir sind mitschuldig, wenn Millionen von Menschen ins Schlaraffenland Europa flüchten

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Manchmal braucht es anderer Leute Sorgen, um einem klar zu machen, wie gut wir es uns hier in Europa eigentlich eingerichtet haben und wie … unproblematisch manche unserer Alltagsproblemchen doch bei näherem Betrachten sind. Am Wochenende habe ich mit Familie und Freunden die dänische Jyderup Højskole für Politik und Kunst für einen Kurs besucht – Højskoler, das sind in Dänemark so eine Art Volkshochschulen für kurze oder längere Aufenthalte auf dem Lande.

Afrikaner auf einem dänischen Schloss

In der Hochschule, die in einem romantischen alten Schloss am See untergebracht ist, wohnen derzeit auch um die vierzig Flüchtlinge, die bereits in Dänemark Asyl erhalten haben und nun die Landessprache lernen. Alles in allem ist das Asylverfahren seit dem letzten Regierungswechsel hin zu einer linkeren Regierung sehr viel flotter geworden, sodass die Leute nicht monatelang in Auffanglagern in Ungewissheit bleiben müssen.

Jyderup Højskole im Oktober 2014
Jyderup Højskole im Oktober 2014

Jedenfalls saßen wir dort zum Abendbrot im gemeinschaftlichen Speisesaal und hinterher spielten die Kinder auf dem Fußboden. Es dauerte nicht lange, da waren sie umringt von lächelnden dunkelhäutigen Männern, die sie auf den Schoß nahmen und ihre ersten neu gelernten dänischen Wörter an ihnen ausprobierten und ihnen zum Schluss noch selbstgebackenen Kuchen schenkten. Ich erfuhr, dass viele von ihnen ihre Familien in ihren Heimatländern zurücklassen mussten, weil sie selbst in Lebensgefahr schwebten. Sie kommen beispielsweise aus Syrien, Eritrea und Afghanistan und zwei von ihnen sind seit ihrer Flucht Vater geworden, ohne ihr Kind bisher gesehen zu haben. Niemand weiß, ob und wann ihnen eine Familienzusammenführung gelingen wird. Wenn sie kleine Kinder sehen, freuen sie sich riesig, werden aber sicherlich gleichzeitig auch riesiges Heimweh bekommen.

Mir tut es leid, dass diese vom Krieg traumatisierten Menschen hier und in anderen europäischen Ländern dann auf unverständnisvolle und asoziale Reaktionen von Anhängern von PIGIDA und anderen Gruppen stoßen müssen. Der blanke Hohn, wenn die, die vor radikalen Islamisten aus ihrer geliebten Heimat fliehen mussten, hier als Islamisten des Terrors verdächtigt werden. Und schlimm, wenn im Westen aufgewachsene, radikalisierte Jungs den Fremdenhassern dann noch in die Hände spielen.

Umweltschutz geht nicht ohne Frieden und Armutsbekämpfung

Was mir früher nicht klar war, ist, dass wirklicher Umweltschutz, der global angegangen werden muss, nicht ohne effektive Krisenprävention, Bildung und Armutsbekämpfung funktioniert. Erst wenn die Menschen nicht mehr flüchten müssen, genug zu essen haben und sich bilden können, haben sie die Zeit und Kraft, um auch die Umwelt zu schützen.

Wer gerne möchte, dass nicht so viele Flüchtlinge nach Europa strömen, der sollte sich Gedanken machen, welchen Beitrag er dazu leistet. Unsere Regierungen treffen Entscheidungen über Handel, Subventionen, Kooperationen mit anderen Regierungen, investieren in Militär und / oder Krisenprävention. Wir wählen sie. Viele unserer Banken investieren in Waffen, mit denen fremde Kriege geführt werden, und in Spekulationsgeschäfte mit Nahrung, in deren Folge tausende Menschen verhungern. Wer sein Geld bei grünen Banken wie GLS, Umweltbank und anderen anlegt, leistet einen Beitrag dazu, dass es mehr Menschen in ihren Ländern besser geht. Ganz zu Schweigen von Waffen, die in Deutschland hergestellt werden. Von Dumpingkonsumgütern, die wir täglich selbstverständlich kaufen. Von subventionierten europäischen Trawlern, die afrikanischen Kleinstfischern die Lebensgrundlage nehmen. Von subventionierten europäischen Hühnerteilen, die hier keiner essen mag, und die zu Dumpingpreisen die afrikanischen Märkte zerstören. Und. Und. Und.

Wenn man genau hinschaut, können wir mit vielen unserer Alltagshandlungen bis zu einem gewissen Grad mit beeinflussen, wie gut oder schlecht es Menschen in anderen Ländern ergeht – ohne, dass wir nur einen Cent an Hilfsorganisationen spenden müssen. Bis zu einem gewissen Punkt sind wir selbst mitschuldig, wenn sich Millionen von Menschen gezwungen sehen, ihre Heimatländer zu verlassen, um in unserem Schlaraffenland ihr Glück zu suchen.

17 Kommentare

    1. Da hast du recht. Ich weiß gar nicht wie viele Millionen Familien unter schlimmen Bedingungen in Flüchtlingslagern leben – für lange Zeit. Danke für den Link, das werde ich mir mal genauer anschauen!

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    1. Ein Fach Gesellschaft, könnte ich mir vorstellen, dass nicht nur abstrakt versucht die Verwaltungsapparate zu erläutern, sondern eben auch internationale Beziehungen und alles was daran hängt. Kinder fragen doch eigentlich nach so etwas!

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      1. Mhm, ich weiss nicht, ob alle Kinder auf solche Fragen kommen. Ich glaube auch nicht, dass alle Eltern darauf kämen. Von daher wäre ich unbedingt dafür, so etwas in der Schule zu thematisieren. Es gibt so interessante Dokus zu dem Thema, nicht die langweiligen Einschläfer-Filmchen, die wir uns früher in der Schule oft angucken mussten. Ich denke, allein ein solcher Film könnte ausreichen, um Kinder zum Nachdenken darüber anzuregen. Und dann kommen die Fragen…

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      2. Stimmt, ich werde auch manchmal schief angeguckt, wenn ich meine Kinder mit dem Ernst des Lebens konfrontiere, z.B. am Kakaoregal („Nein, wir nehmen nicht den mit dem süßen Hasen drauf, wir nehmen den unscheinbaren braunen, weil der ohne Kinderarbeit ist…“). Na klar kommen da andere Fragen. Genauso einen zum Nachdenken anregenden Effekt hätten solche Dokus, Es gibt wirklich tolle, da hast du recht!

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  1. Hallo Marlene!

    Ich glaube auch, dass der „butterfly-effekt“ gar nicht wirklich überblickt werden kann. Die Welt ist mittlerweile so eng miteinander verbunden, dass fast alles, was wir tun, Auswirkungen auch in weit entfernten Ländern hat. Mir macht das ehrlich gesagt fast ein bisschen Angst, weil ich mich nicht in der Lage fühle alles zu durchschauen.

    lg
    Maria

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    1. Hallo Maria,
      Da muss ich dir recht geben. Wirklich durchschauen werden das die wenigstens und wer weiß, was noch alles im Verborgenen (wie die großen Handelsabkommen) abläuft? Eine kleine Ahnung würde manchmal aber vielleicht schon als Anstoß genügen, bewusster zu konsumieren.
      Liebe Grüße,
      Marlene

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  2. Ich hatte in meiner WG eine Zeitlang eine französische Mitbewohnerin, die ursprünglich aus dem Kongo kam. Sie kam mit 14 Jahren mit ihrer Familie nach Frankreich. Als ich sie traf, war sie 18 und mit Erasmus nach Deutschland gekommen. Ich war neugierig, wie sie die Problematik mit Flüchtlingen sieht, da sie ja die Umstände näher kennt, als wir das aus unseren Medien je erfahren könnten. Sie meinte, die einzige Lösung des Problems sei, in den betroffenen Ländern (wir haben in erster Linie über Afrika gesprochen) mehr Bildung zu ermöglichen, dann könnten sich die Menschen selbst helfen. Aber das ginge erst wirklich, wenn der Westen aufhören würde, korrupte Regierungen aus wirtschaftlichen Beweggründen heraus, zu unterstützen.

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    1. Danke für diese Geschichte aus erster Hand – man hat nicht oft die Gelegenheit jemanden direkt betroffenen zu fragen! Leider ist es als Normalbürger für uns oft schwer zu durchschauen, welche Regierung korrupt ist und welche nicht. Am ehesten können wir auf sowas vielleicht bei der Wahl Einfluss nehmen 😦

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  3. Hallo Marlene,

    Ich könnte mich oft so sehr ärgern, wenn Menschen, die keine Ahnung von Politik, Wirtschaft oder dergleichen haben, ihrer ausländerfeindlichen Meinung Luft machen. „Asylwerber sind Schmarotzer, Kriminelle. Die sollen wieder dort zurück, wo sie hergekommen sind.“
    Solange ein Mensch als Asylwerber bezeichnet wird, ist es noch unklar, aus welchen Grund er Asyl beantragt. Oftmals sind diese Asylwerber Flüchtlinge – und es ist ein MENSCHENRECHT, Flüchtlingen Unterkunft zu gewähren! Schon klar, dass dies vielleicht für uns keinen Gewinn bringt. Aber so ist das nun mal in einem Sozialstaat, dass man nicht nach dem Prinzip „Friss oder stirb“ agiert! Ich kann nicht nachvollziehen, warum viele so egoistisch und selbstsüchtig denken.

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    1. Hallo Selina,
      da kann ich dir nur recht geben. Und ich muss mir dann immer vorstellen, dass unsere schöne gemütliche Luxuswelt auch irgendwann mal wieder kippen kann. In der Geschichte gab es immer ein Auf und Ab. Vielleicht sind irgendwann einmal wir – oder unsere Kinder – die Bittsteller, die Flüchtlinge, die woanders aufgenommen werden wollen. Da kann man doch jetzt nicht alle anderen vor die Tür setzen!
      Liebe Grüße,
      Marlene

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  4. Hallo Marlene!
    Dein Bericht ist toll, zur Unterstützung kannst du dir gerne einmal auf Youtube den Bericht: „Vergiftete Geschenke“ anschauen. Die Thematik ist dort bildlich festgehalten, wie ich finde, auch nicht schlecht erzählt.

    Liebe Grüße,
    Florian

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